Neue Doppel-CD von „Shamall“ ist erschienen / Videos auf YouTube
Naturphänomene wie Wind, Regen oder vielleicht auch ein wenig Sternenstaub zu Beginn eines Musikstückes sind keine Seltenheit. Eines, womöglich das bekannteste Beispiel: „Riders on the storm“ von den Doors, in dessen Eingangssequenz neben Regen noch Blitz und Donner um Aufmerksamkeit konkurrieren. Die Atmosphäre des Liedes ist damit vorgegeben. Auch die Band „Shamall“ nutzt Klangelemente dieser Art. Auf ihrer neuen Doppel-CD „Schizophrenia“ allerdings werden keine himmlischen Schleusen geöffnet, dafür umso mehr rockige, emotionale, psychedelische und spirituelle. Klangtüftler Norbert Krüler, seit mehr als drei Jahrzehnten musikalischer Kopf der Band, schlägt dabei einen großen musikalischen Bogen, der in einigen seiner Spannungsmomente von Pink Floyd über Mike Oldfield, Emerson, Lake & Palmer, Amon Düül, Jean Michel Jarre bis hin zum Schweizer Naturstimmenfänger Andreas Vollenweider reicht.
Es ist eine interessante Mixtur, in der die ganz eigenständigen musikalischen Ideen und Einlassungen von Krüler und Sängerin Anke Ullrich sich souverän behaupten. In sechs Jahren entstand das neue Album im Studio in Etelsen. Lead-Gitarrist Matthias Mehrtens, langjähriger Shamall-Mitstreiter, ist erneut ein fester Bestandteil der Produktion.
Das Video zum Titel „Schizophrenia“ ist in langen Passagen gekennzeichnet von wahren Farbexplosionen. Sie wirken wie eine Huldigung an die Werbespots der 1960er-Jahre. Charles Wilp und die von ihm beworbene Limonade Africola kommen in den Sinn. Eiskalt und schräg. Erinnert wird man aber auch an Musiksendungen wie den Beat-Club unter der Regie von Mike Leckebusch. Die Bilder damals wirkten bunt, aus Zusammenhängen gerissen und irgendwie verwirrend; aber jetzt beinahe beruhigend gegenüber den rasant geschnittenen heutigen Clips.
Für Inhalte und thematische Auslotungen bei Shamall jedoch stehen vorrangig Musik und Texte. „Schizophrenia“ ist eine musikalische Zustandsbeschreibung dieser Welt, mithin keine tröstliche. Vieles scheint aus den Fugen geraten. Globale Erschütterungen vibrieren bis in den privaten Mikrokosmos. Norbert Krüler findet dafür einprägsame Bilder und stimmige Zeilen. Dabei streben die Musik des Autors, sein Gesang und der von Ullrich häufig nach höheren Sphären und überwinden dabei im besten Fall den Widerstreit von irdisch Machbarem und märchenhaften Möglichkeiten. Dem Titelsong „Schizophrenia“ folgen Stücke wie „All the Answers“, „The inconvenient Truth“, „Foolin‘ myself“, „Yearning Moments“, „Meet me by the water“, „Man in the Mirror“, „Always livin‘ in a Lie“, „Eyes of a Stranger“, „We are all in the same boat“ oder „Supernatural Dream“. Auf Schizophrenia zu hören sind gleichberechtigt instrumentale Stücke und Lieder. „Zuerst kommt die Musik, dann der Text“, sagt Norbert Krüler und fügt hinzu, „ich schreibe auch für Ankes Stimme.“ Die bewältigt hohe Töne und behauptet sich auch gegen orchestrale Klangfülle.
Krüler, der in jungen Jahren einen Beruf im Molkereihandwerk erlernen sollte, aber seine Zukunft ganz klar in der Nachtarbeit als DJ sah, gelangte als solcher im Bremer „Aladin“ zu Bekanntheit und Anerkennung („Ich wusste, wie es geht“). In der Folge setzte er ganz auf die Musik. Als Komponist ist er kompromisslos: „Ich arbeite solange, bis mir ein Stück oder eine Platte ganz gefällt.“
Zugeständnisse macht er nicht: „Ich muss es mögen, wenn es dann auch noch andere gut finden – umso besser.“ Die Fans von Shamall, die unter anderem auch in Nordamerika und Russland leben, können neue Werke kaum erwarten. Von „Schizophrenia“ waren nach Erscheinen in Russland in Windeseile Raubkopien im Umlauf.
„Eine Platte“, sagt Norbert Krüler lapidar, „ist wie eine lange Reise“. Das Reiseende von Shamall ist längst noch nicht in Sicht.
c/o Aller-Weser-Verlag, Bernd Hägermann, Dezember 2019
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