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Cover picture of Norbert Krueler aka Shamall from his latest release "Schizophrenia"

Shamall – the official pages

„…Eine fesselnde Reise durch eine Vielzahl von Musikstilen…“

Eine Rezension des polnischen Progressive-Rock Blogs „Akademia Art Rocka“.

Der deutsche Progressive Rock ist in unserem Land nicht besonders beliebt. Es stellt sich jedoch heraus, dass es sich manchmal lohnt, danach zu suchen. Kรผrzlich empfahl mir einer meiner Freunde das letzte Album von Shamall mit dem Titel โ€žSchizophreniaโ€œ. Der Bandname verriet mir nicht viel, obwohl Norbert Krรผler, ein westfรคlischer Bandleader, seit รผber dreiรŸig Jahren komponiert und mehr als zwanzig Alben eingespielt hat. Anfรคnglich beschรคftigte er sich mit elektronischer Musik. Spรคter wandte er sich dem Artrock zu, als er zu Beginn des neuen Jahrtausends mit dem Album โ€žThe Book: Genesisโ€œ ein neues Kapitel seiner Arbeit aufschlug – progressive Musik, die stark in elektronischen Klรคngen verwurzelt ist.

Spรคter, innerhalb von zwรถlf Jahren, verzeichnete er weitere sieben, ebenfalls sehr erfolgreiche Alben. Fรผr die Produktion des in der Einleitung erwรคhnten Albums โ€žSchizophreniaโ€œ hat er jedoch fast sechs Jahre gebraucht, Nebenprojekte nicht mitgerechnet. Das Album wurde im Oktober letzten Jahres verรถffentlicht. Es handelt sich um ein Doppelalbum mit zweiundzwanzig Titeln und insgesamt รผber einhundertfรผnfzig Minuten Musik, aber es ist so faszinierend, dass es schwer ist, gleichgรผltig daran vorbeizugehen. Auch wenn die Form auf den ersten Blick zu komplex erscheinen mag (was im Falle von Shamall รผbrigens die Norm zu sein scheint), lohnt es sich, das Album mehrmals und konzentriert anzuhรถren. Die Musik der Band gewinnt und beschรคftigt das Ohr und den Geist mit jedem weiteren Hรถren.

Sechs Jahre fรผr die Aufnahme und Produktion des Albums waren keine verlorene Zeit. Tatsรคchlich ist Norbert Krรผler, der in der Einleitung erwรคhnt wird (Gesang, Gitarren, Klavier, Orgel, Keyboards, Bass und Programmierung) fรผr das Ganze verantwortlich, sowohl was die Komposition als auch den Text betrifft. Begleitet wird er von Matthias Mehrtens (Leadgitarre) und Anke Ullrich (ebenfalls Lead und Begleitgesang).

โ€žSchizophreniaโ€œ ist eine sehr persรถnliche Aussage des Komponisten. Er berรผhrt thematisch die Probleme der heutigen Welt. Er stellt schwierige Fragen und versucht herauszufinden, in welche Richtung sich unsere Zivilisation entwickelt. Er gibt keine einfachen Antworten. Die wachsende Unwissenheit der Gesellschaften und die wachsende Angst vor der Zukunft lassen diese schรถnste der Welten, die wir uns untertan gemacht haben und uns freundlich zugewandt sind, ganz und gar nicht so erscheinen. Es wird immer schwieriger, darin einen sicheren Ort fรผr uns selbst zu entdecken. Das Leben auf dem grรผnen Planeten wird zunehmend entmenschlicht, wir erleben jeden Tag Intoleranz, und es wird langsam zur Norm, die niemanden beeindruckt. Obwohl Norbert Krรผler das Problem aus seiner eigenen, einheimischen Perspektive betrachtet, haben seine Beobachtungen eine universelle Dimension. Jeden Tag gibt es wachsende Probleme aufgrund des Mangels an wirksamen MaรŸnahmen zum Schutz unseres Planeten. In der individuellen Dimension kรผmmern wir uns jedoch nicht viel darum und fรผhlen uns trotzdem wohl, wenn wir in den Spiegel schauen (Man In The Mirror). Der Shamall-Headman beschloss, das Publikum zu erschรผttern. Er will die allgegenwรคrtige Blickwendung und Flucht vor dem Problem nicht akzeptieren. Der Titel โ€žSchizophreniaโ€œ ist derjenige, der im Wissen um die Bedrohung ein Auge zudrรผckt und nichts unternimmt. Auf der anderen Seite erscheint als Kontrapunkt Ankes Stimme, die die Schรถnheit der Welt und ihre herrlichen Farben besingt. Die Gelassenheit der Hauptfigur wird dadurch gestรถrt, dass sie sich lieber der Gleichgรผltigkeit hingibt, sich auf die Couch setzt und kifft.

ร„hnlich interessant ist der musikalische Dialog zwischen Anke und Norbert in „Supernatural Dream“, der der Komposition zusรคtzliche Farben und Abwechslung verleiht. Trotz seiner umfangreichen Form nutzt sich das Ganze wirklich nicht ab. Die Dramaturgie der Geschichte wรคchst und melodische Soli von Tasteninstrumenten, die von Zeit zu Zeit auftauchen, machen das Album wirklich attraktiv. Hervorzuheben sind auch Matthias Mehrtens‘ Gitarre und seine durchdachten Solopartien sowie das abwechslungsreiche, dynamisch programmierte Schlagzeug.

Der erste Teil endet mit dem Stรผck โ€žThoughtsโ€œ P. II. Seine Erzรคhlung verdichtet sich allmรคhlich, wรคhrend das Thema, das zu einem Hรถhepunkt verarbeitet wird, plรถtzlich verstummt und den Zuhรถrer wie in der Schwebe lรคsst.

Der zweite Akt des Dramas entfaltet sich ebenso gemรคchlich, und das erste Stรผck zeigt, dass der Komponist noch viel zu sagen hat. Es ist schwierig, diese Musik eindeutig zu kategorisieren. Es ist sowohl eine edle Weiterentwicklung, die sich auf den alten Artrock bezieht, kombiniert mit dem Besten des deutschen Krautrock (obwohl das Album englischsprachig ist), als auch das Ganze gekonnt mit Elementen der elektronischen Musik koloriert. Das Ganze ist eine fesselnde Reise durch eine Vielzahl von Musikstilen, die jedoch zu einem durchdachten Ganzen zusammengefรผgt und stรคndig mit neuen Inspirationen bereichert werden. Wir haben hier sowohl starke als auch interessante Riffs, faszinierende Stimmungswechsel und klimatische Soli. Es gibt temporeiche Passagen, aber auch ruhige Momente, die das Durchatmen erlauben. Und es gibt auch eine dezent gewebte Passage mit klassischem Orchester untermalt.

Einer der wichtigsten Titel des zweiten Albums ist das Epos โ€žWorld of Emotionsโ€œ, das mit einem groรŸartigen Gitarrensolo angereichert ist. Im zweiten Teil seiner Geschichte lieรŸ Norbert Krรผler der Gitarre von Matthias Mehrtens mehr Raum. An dieser Stelle sei auf โ€žThe Inconvenient Truthโ€œ P. II und โ€žThe Shape of Things to comeโ€œ hingewiesen. Wir haben dort die kapitalen, umfangreichen Matthias-Partien, ergรคnzt durch Norberts Keyboard-Soli. Im zweiten Teil hรถren wir auch Anke Ullrich รถfter. Grundsรคtzlich ist hier der gesamte Schluss zu empfehlen, von „We Are All In The Same Boat“ bis zu „Eyes Of A Stranger“. Es handelt sich um eine wahrhaft epische Erzรคhlung, die nach und nach die Spannung aufrechterhรคlt, obwohl fast eine Stunde seit Beginn des Werkes vergangen ist.

Nach dem ersten Anhรถren dachte ich, dass das Album kรผrzer sein kรถnnte, aber ich รคnderte meine Meinung schnell. Es lohnt sich, der Sache Zeit zu geben. Dann entfaltet es seinen Charme, seine Frische und Dynamik vollends. Ich betone noch einmal – es ist ein sehr komplexes Projekt, das insgesamt zweiundzwanzig Titel und zweieinhalb Stunden Musik umfasst. Es ist schwer, sich in diesem Fall auf einzelne Details zu konzentrieren, aber wir mรผssen zugeben, dass jedes weitere Anhรถren wieder zu neuen Eindrรผcken und Geheimnissen fรผhrt. Schon die Erรถffnung des gesamten, รผber achtzehnminรผtigen Titeltracks wรผrde eine Einzelanalyse erfordern, aber meiner Meinung nach ist der Gesamteindruck, der nach dem Hรถren des Ganzen bleibt, wichtiger.

In dieser Musik gibt es keine leeren Worte und Phrasen, die nach dem Ende des Albums in der Vergessenheit verschwinden. Bedeutsam sind die ordnungspolitisch begrรผndeten Wiederholungen einiger weniger Themen, die sich durch das gesamte Werk ziehen. Erwรคhnenswert ist auch die sehr sorgfรคltige Produktion, von der Pflege der Endmischungen der Tracks bis hin zur attraktiven grafischen Gestaltung des Covers.

Ich verhehle nicht, dass โ€žSchizophreniaโ€œ seit einiger Zeit oft zu Gast auf meinem CD-Spieler ist, und gleichzeitig hat das meine Neugier auf die frรผheren Leistungen von Shamall und Norbert Krรผler erheblich angeregt. Ich fรผrchte, dass diese Musik sรผchtig machen kรถnnte…


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